Inverse Zinsstrukturkurve birgt Aufwärtsrisiken für Renditen

Dr. Klaus Bauknecht

Trotz der erwarteten Abkühlung der US-Wirtschaft zögert die Fed, die Zinsen zu senken. In der Euro-Zone stehen hingegen eine Konjunkturerholung und eine Zinssenkung der EZB an. In beiden Volkswirtschaften ist zudem die Zinskurve invers. Also: 10-jährige Bundrenditen sowie US-Renditen sind niedriger als der Geldmarktsatz. Eine inverse Zinskurve wird traditionell als Frühindikator für eine wirtschaftliche Abkühlung angesehen. Denn sie deutet an, dass Kapitalmärkte den aktuellen Zinssatz der Notenbank als zu hoch und damit als nicht haltbar ansehen. Oftmals ist die Kurve invers, wenn Notenbanken überreagieren bzw. die Zinsen zu lange hochhalten, weil die Inflation noch nicht die gewünschte Zielgröße erreicht hat. Die Notenbank fokussiert sich bei ihrer Einschätzung stärker auf aktuelle Daten als auf Prognosen. Die Märkte hingegen sind getrieben von einer erwarteten Konjunktureintrübung und gehen daher von baldigen Zinssenkungen aus.

In den USA hat sich der Zeitpunkt der erwarteten Zinssenkung erneut verschoben, sie hat aber nach wie vor Bestand. Denn trotz eines noch robusten US-Arbeitsmarkts häufen sich die Anzeichen einer US-Abkühlung. So ist der Zahlungsverzug von US-Kreditkartenbesitzer inzwischen auf fast 10 Prozent angestiegen. Auch gibt die eskalierende staatliche Zinslast der US-Regierung wenig Raum für eine Fortsetzung ihrer expansiven Fiskalpolitik vor allem nach der US-Präsidentenwahl. So kühlte sich das US-Wirtschaftswachstum bereits in den letzten drei Quartalen ab, und für 2025 kann von einer deutlich niedrigeren Jahresrate ausgegangen werden. Zinssenkungen der Fed ab dem dritten Quartal 2024 sind deshalb weiterhin wahrscheinlich. Unsicher bleibt jedoch, wie weit die Fed die Zinsen senken wird. Dennoch und trotz einer inversen Zinskurve sollte sich Raum für niedrigere US-Renditen ergeben.

Europäische Stimmungsindikatoren deuten hingegen auf eine zunehmende Konjunkturaufhellung hin. Auch zeigte die Wirtschaft der Euro-Zone im ersten Quartal 2024 das kräftigste Wachstum seit sechs Quartalen, und Prognosen signalisieren eine weitere stetige Verbesserung. Dennoch wird die erste Zinssenkung der EZB im Juni erwartet. Diese ist angemessen, solange es sich um eine Normalisierung und keine gewollte geldpolitische Lockerung handelt. Allerdings mag sich das Fenster für Zinssenkungen auf das Jahr 2024 und auf maximal 100 Basispunkte beschränken. Entscheidend wird sein, wo der langfristige Zinssatz oder Gleichgewichtszinssatz in der Euro-Zone gesehen wird. Schenkt man dem Argument Glauben, dass infolge demografischer Entwicklungen, Klimapolitik und Protektionismus ein verstärkter Preisdruck in der Euro-Zone entsteht, muss der inflationsbereinigte Gleichgewichtszinssatz deutlich höher liegen als historische Werte, die eher bei um oder unter 0 Prozent lagen. Sind also die Inflationssorgen berechtigt, braucht es auch mittelfristig höhere Zinsen, um das Inflationsziel von 2 Prozent zu sichern. Der Einlagenzinssatz läge dann eher bei 3 Prozent als 2 Prozent und wäre damit inflationsbereinigt im positiven Bereich. Bei solch einem Zinssatz müssten allerdings Bundrenditen weiter aufwärts korrigieren.

Alternativ wird argumentiert, die EZB wird die Zinsen niedrig halten und eine höhere Inflation tolerieren. Dann wird die mittelfristige Inflation oftmals eher bei 3 Prozent als bei 2 Prozent gesehen. Doch eine höhere Inflation bringt kein höheres Wachstum, sondern nur höhere Renditen mit sich. Denn steigt die Inflation, nimmt auch ihre Volatilität zu und damit erhöhen sich die Inflationsprämien. Infolgedessen werden Renditen ebenfalls zulegen. Letztlich muss die Notenbank die Zinsen dann doch deutlich erhöhen, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Die Fed ist hierfür ein Beispiel. Sie erlaubte einen schleichenden Inflationsanstieg ab Mitte der 1960-Jahre. Dies führte zu drastischen Zinserhöhungen Anfang der 1980er-Jahre. Höhere Inflation führte also nicht zu niedrigeren, sondern zu höheren Zinsen bzw. Renditen – auch weil Inflationserwartungen zunehmen. Bundrenditen wären also auch in diesem Szenario aktuell zu niedrig. Das einzige Szenario, bei dem Bundrenditen Raum nach unten haben, wäre eine Rückkehr zu den Vor-Corona-Jahren. Damals lag der inflationsbereinigte Gleichgewichtszinssatz bei bzw. unter 0 Prozent, und die Inflation war niedriger als das Inflationsziel von 2 Prozent. In diesem Fall wäre im Jahr 2025 mit deutlichen weiteren Zinssenkungen der EZB zu rechnen, und die Zinskurve würde sich vor allem durch das kurze Ende normalisieren. Doch ob sich dieses Szenario im Umfeld einer Konjunkturerholung und Prognoseverbesserungen realisieren wird, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlicher ist: Die EZB wird im Jahr 2025 eine Pause bei einem Einlagenzinssatz von 3 Prozent einlegen. Würde dies auf den Zinsmärkten als Indiz für einen höheren Gleichgewichtszinssatz interpretiert, ergäbe sich Auftrieb für Bundrenditen. Denn die Zinskurve wäre bei dem aktuellen Niveau der Bundrenditen dann immer noch invers.

Eine Zinsstrukturkurve kann nicht anhaltend negative Werte zeigen, ebenso wie eine anhaltend falsche Einschätzung der Finanzmärkte nicht möglich ist. Die aktuelle Zinskurve muss sich perspektivisch wieder normalisieren – also: Bundrenditen müssen über den Geldmarktsätzen liegen. Die IKB erwartet einen deutlichen Rückgang der Inflationsdynamik im Euro-Raum, was der EZB nach ihrer Normalisierung der Zinspolitik bei einem Einlagenzinssatz von 3 Prozent weiteren Raum für Zinssenkungen geben wird. Dies mag sich allerdings infolge der Konjunkturerholung hinziehen. Gleichzeitig wird die Konjunkturabkühlung in den USA US-Renditen und damit auch Bundrenditen unter Druck setzen. Doch auch für die USA bleibt abzuwarten, wie weit die Fed gehen kann – vor allem im Jahr 2025. Die IKB sieht daher Bundrenditen von unter 2 Prozent als nicht nachhaltig an. Auch bleibt das Korrekturpotenzial trotz US-Abkühlung für Bundrenditen hoch. Grundsätzlich ist von einer erhöhten Volatilität am langen Ende der Zinskurve weiterhin auszugehen.

Newsletter vom 29. Mai 2024

Dr. Klaus Bauknecht – Chefvolkswirt
IKB Deutsche Industriebank AG

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Euro-Zone – Zinsstrukturkure, Angaben in Prozentpunkten (10-Jahre-Bundrenditen in % – EZB-Einlagenzinssatz in %)